Die Lichter von London – Romeo Vendrames fotografische Serie Choreography
von Lena Fritsch
pdf

Sicherlich muß das, was so in meinem Inneren in Bewegung geraten ist, das Bild, die visuelle Erinnerung sein ... Und dann mit einem Male war die Erinnerung da.
(Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, 1922)

London calling to the faraway towns
Now war is declared, and battle come down.
(The Clash, London Calling, 1979)

In warmen Gelbtönen leuchten die Straßenlaternen und Reklamelichter im Zentrum der fotografischen Komposition um die Wette mit einer rot flimmernden Neonschrift, die zur Raymond Revuebar einlädt. In der schmalen Gasse unterhalb der Bar sind verschwommen die dunklen Silhouetten von Menschen zu erahnen, die sich den Verführungen der nächtlichen Großstadt hingeben. Was sich hinter dem kleinen vergitterten Fenster der altmodischen Revuebar in Soho abspielt, bleibt nur zu vermuten. Auf einer anderen Fotografie leuchtet der unweit gelegene Taboo Revue Stripclub verwaschen in der tiefschwarzen Dunkelheit. Und auf der regennassen Wardour Street strahlt in gelb-orangenen Tönen der berühmte Musikclub Marquee. Vor ihm parkt ein Auto, die Tür des Clubs scheint geöffnet – womöglich beginnt gleich ein Blues- oder Rock-Konzert.

... weiter
CHOREOGRAPHY
von Roberta Valtorta
pdf

Romeo Vendrame definiert sich als «Autor und Regisseur» dieses Zyklus. Als «Autor» hat er vor 40 Jahren, in den 1970ern, die dieser Serie zugrundeliegenden Fotografien aufgenommen. «Regisseur» ist er, da er heute, nach dieser langen Zeit, diese Aufnahmen wieder in Betracht zieht und sie grundlegend transformiert. Diese zeitliche Interaktion zwischen den Jahrzehnten, den Epochen, die so weit voneinander entfernt sind, bezeichnet er als «Tanz» – der dieser Arbeit den Titel «Choreography» verliehen hat. Vendrame nutzt das Konzept des Tanzes, um die komplexen rhythmischen Vorgänge der Erinnerung aufzuzeigen. Auf der sichtbaren Ebene stößt er einen Prozess an, der Erfahrenes, Gesehenes und Gedachtes wachruft und wiederbelebt, und das auf eine sehr intensive Art und Weise.

... weiter
ZUR FOTOGRAFIE VON ROMEO VENDRAME
von Angelika Affentranger-Kirchrath
pdf

Die Fotoarbeiten von Romeo Vendrame sind das Resultat eines langwierigen Entstehungsprozesses. Gesehene Bilder werden aus dem Fluss der Zeit herausgehoben. Seine Fotografien bedeuten eine Ballung von Zeit, verdichtete Zeit. Beim Zyklus «Afterglow» – der eine Basis für sein weiteres Schaffen bildet – hat er Aufnahmen von Freunden und Bekannten übernommen und sie sich im Prozess der Bearbeitung recht eigentlich angeeignet. In diesem Zusammenhang spricht er von Engrammen – Gedächtnisspuren. Nach wie vor versteht er seine Fotografien als Kristallisationspunkte, die sich als erinnerte Bilder aus dem Vergessen herausschälen. Sie sind keineswegs präzise umrissen und auf den Bildträger gebannt, sie befinden sich zwischen Formation und Auflösung. Dies stellen wir auch bei allen seinen neueren Serien fest: den Frauengesichtern aus der Serie «the chemistry of attraction», die sich aus einem undefinierten Grund herausschälen. Sie bleiben erscheinungshaft wie die Berge aus der Serie «Berg», deren Kontext nicht auszumachen ist. Das Gesicht aus dem Zyklus «Neutrino» verstiebt in einem Lichtnebel und unterläuft so den Anspruch des Portraits, einen individuellen Ausdruck zu erfassen.

... weiter
Im SternbIld der grossen Blume
von Nadine Olonetzky
pdf

Lichterketten, Lichterknäuel, Lichterflecken, gelb, grün, violett, blau, ein Flirren, tausend Farbpunkte, Geflimmer und das glitzernde Aufscheinen eines Gesichts, ein aus dem dunklen Raum auftauchendes Gelichter, ein gespensterhaftes Gesindel, das sich an einem seltsamen Nachthimmel herumtreibt? Romeo Vendrames zwei Fotoserien «Neutrino head» und «Neutrino half», 2004–06 entstanden, bewegen sich an der Grenze, wo sich die Figur auflöst ins Ungegenständliche, die Abstraktion überhand nimmt. Das Gesicht, das man mehr ahnt als erkennt, und die Halbfigur, die im schwarzen Umraum zu schweben scheint, bestehen aus Wolken von Lichtpunkten, wirken wie schwerelose funkelnde Schmuckstücke auch, sie erinnern an kosmische Phänomene, an einen – zwar so noch nie gesehenen – Sternenhimmel, eine fremde Milchstrasse. Die unendliche Weite des Alls jedenfalls, die durch den schwarzen Umraum suggeriert wird und in der diese nahezu körperlosen Gesichter und glitzernden Figuren aufscheinen, diese sie umgebende unwirtliche Grösse, Einsamkeit, Kälte lassen einen frieren und zugleich daran denken, dass alles mit allem zusammenhängt, alles aus denselben Grundbausteinen zusammengesetzt ist, das Moos und der Stern, der Mensch und der Stein.

... weiter
THE CHEMISTRY OF ATTRACTION
von Christoph Doswald
pdf